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Ein Leserbrief

 

 An den Verlag "Die Zeit"

Leserbrief zu:

Sabine Rückert, Straflos schuldig, Die Zeit Nr. 53,

22. Dezember 2004, Seite 1

Sehr geehrte Damen und Herren,

in meinen Weihnachtsferien hat mich der Fall Gäfgen oder, wie Ihre Autorin Sabine Rückert es ausdrückt, der Fall Daschner, so sehr beschäftigt und innerlich berührt, dass ich mich entschloß, einen offenen Brief zu schreiben und ihn in meine Homepage  zu stellen:

 http://www.ulrich.perwass.de/Daschner/Daschner.htm

Als normaler, nicht juristisch vorbelasteter Bürger habe ich versucht, die moralische Seite der Tragödie zu beleuchten. Ich bin dabei in meinen Formulierungen nicht immer protokollgenau vorgegangen, damit die Problematik für viele Mitbürger fass- und erfassbar wird.

Nun fand ich in meinem Poststapel Ihre Zeitung mit dem o.a. Artikel der Autorin Sabine Rückert, der mich, wie Sie sich sicher denken können, zu spontanem Widerspruch herausforderte.



Sehr geehrte Sabine Rückert!

Es ist äußerst unfair und unproduktiv für eine ernsthafte Diskussion, Vergleiche zu Guantánamo, Abu Ghraib und ähnlichen Vorkommnissen zu ziehen, weil damit automatisch unsere Polizei, unser Rechtswesen und der zu behandelnde Fall in eine Ecke gedrängt werden, die sie nicht verdienen! Solch eine Argumentation passt eher in eine auf billige Sensationen getrimmte Boulevardzeitung denn in eine seriöse Zeitung. Es ist ebenso unfair zu schreiben, dass die Angeklagten laut Gericht den Festgenommenen "genötigt" haben, um gleich danach zu schreiben, dass das Bundesverfassungsgericht diese Tat als Folter bezeichnet hat! Das Bundesverfassungsgericht war in diesem Falle noch gar nicht involviert, und das Frankfurter Gericht hat ausschließlich von Nötigung gesprochen und eben nicht von Folter! Richtig ist, dass unser Fall nicht in den gewaltigen Zusammenhang des globalen Terrors gehört, denn, wenn so etwas uns einmal massiv erreichen würde, dann brauchten wir diese Diskussion nicht mehr zu führen!

Völlig daneben liegt Ihre Einschätzung, dass das Verhalten der Angeklagten menschliches Versagen in einer Belastungsituation darstelle "wie sie bei der Polizei immer wieder vorkommt". Wo haben Sie den Hauptmann von Köpenick, den "kleinen Prinz" und Montesquieu, um nur von diesen zu sprechen, lesen lassen, um völlig unbeleckt von der schon seit Jahrtausenden geführten Diskussion über Recht und Moral zu schreiben. Dieser Widerspruch bricht doch immer wieder auf und erfordert auch immer wieder aufs Neue die Entscheidung des Einzelnen, eventuell zum Schutz höherer moralischer Werte, auch gegen das Gesetz zu handeln. Nennen Sie mir bitte einen höheren Wert, als das Leben eines unschuldigen Opfers zu schützen, das auch Ihr Kind sein könnte! Die Würde des uneinsichtigen, überführten Täters? Was bedeutet dann die Würde und das Recht auf Leben des Opfers? Haben Sie Kinder? Wissen Sie, wozu eine Mutter fähig ist? Denken Sie dabei bitte an das Bild der Mutter, die der Flutwelle entgegen rennt, um ihre Kinder zu warnen! Herr Daschner und Herr Hauptkommissar Ortwin E. sind, so wie ich sie einschätze, gestandene und erfahrene Polizeibeamte, die sich durchaus der Problematik des Falles und ihrer eigenen Situation bewusst waren. Sie haben sich in einer für sie prekären Situation für das Kind, das fremde Kind entschieden und ihr eigenes Schicksal hintan gestellt. Wie hätten Sie gehandelt? Wie hätten Sie gehandelt in einer Welt, die Ihnen misstrauisch, mit Vorurteilen und oft auch feindlich gegenüber steht?

Ihr schwarz-weißes Weltbild tritt verräterisch zu Tage, wenn Sie plötzlich von erfahrenen Polizisten, also den Guten, schreiben, die sich weigerten Herrn Daschners Anweisungen zu folgen. Ob es überhaupt solche Anweisungen gegeben hat, kann ich nicht erkennen. Doch wollen Sie Gewissensentscheidungen wichten? Wollen Sie wirklich das "böse" und das "gute" Gewissen den Beamten einer Ermittlungskommission zuteilen? Wissen Sie, was es heißt, gegen sein Gewissen zu handeln, weil die eigene Existenz, die eigene Familie, die Zukunft der eigenen Kinder auf dem Spiele steht? Glauben Sie, dass jene Beamten nicht vom Schicksal des kleinen Jakob von Metzler berührt waren? Sie schreiben viel von professioneller Polizeiarbeit und meinen doch nur das teilnahmslose, roboterhafte Funktionieren.

Das Gericht hat mit seiner Entscheidung die seelische Zwangslage von ermittelnden Beamten nicht erleichtert! Es fordert mit seinem Urteil den weit über sich hinauswachsenden Helden und hat doch selber moralisch jämmerlich versagt! Der Schutz des Lebens ist der Wert, dem wir verpflichtet sind, alles andere ist Menschenwerk! Es bleibt nur zu hoffen, dass das überragende und selbstlose Beispiel, das Herr Daschner und Herr Hauptkommissar Ortwin E. gegeben haben, zur Besinnung reicht und dass die damit entfachte Diskussion endlich zu einer klaren gesetzlichen Regelung führt, die den ermittelnden Beamten aus dem unnötigen Zwiespalt von Moral und Recht befreit!

Mit freundlichen Grüßen
 

Ihr Ulrich Perwass
 

 

Dazu auch:

Nicht Folter, sondern Nothilfe

von Prof. Dr. Volker Erb

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