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Offener Brief

 Ich schäme mich!

 

Sehr geehrter Herr Daschner und

sehr geehrter Herr Hauptkommissar Ortwin E.!

Das Urteil der 27. Strafkammer des Frankfurter Landgerichts gegen Sie ist nun drei Wochen Geschichte und doch lässt es mich nicht ruhen. Ich muß diesen Brief schreiben, um Ordnung in meine Gedanken zu bringen und der Scham über dieses Urteil Ausdruck zu verleihen. Ich habe diesen Staat seit meinem 11. Lebensjahr mit immer wacher werdendem Geiste begleitet. Das Ringen um Rechtsstaatlichkeit, um Demokratie und um die Verarbeitung der grauenhaften Taten, die im Namen Deutschlands während des nationalsozialistischen Regimes vollbracht wurden, haben mich geprägt und mich letztendlich mit Stolz und mit Zuversicht auf diesen Staat erfüllt,  dessen innere Kräfte aus mehr als tausendjähriger Kulturgeschichte schöpfen. 

Doch nun schäme ich mich! Ich schäme mich der Richter, die Ihr Vorgehen, sehr geehrter Herr Daschner und sehr geehrter Herr Hauptkommissar, als Nötigung brandmarkten und nicht als zwingend vom Grundgesetz vorgeschriebene Nothilfe erkannten. Ich schäme mich der Richter, die das Leben eines kleinen, unschuldigen Jungen gegen die Ohrfeige für einen Gewaltverbrecher aufwogen und für zu leicht befanden. Ich schäme mich der Richter, die die Würde des noch in Tatausführung befindlichen Mörders höher werteten als die Würde und das Recht auf Leben seines Opfers, das dem damaligen Erkenntnisstande entsprechend qualvoll seinem unweigerlichen Tode entgegensiechte. Ich schäme mich der fundamentalistischen Rigorosität, mit der ein fehlinterpretiertes Folterverbot durchgesetzt werden soll, einer Rigorosität, die schamvoll als griechische Tragödie ihre klassische Überhöhung im Urteil findet und doch nur zur verunglückten juristischen Argumentationsakrobatik wird.

Was sagt Ihr, Ihr Mütter und Väter des Frankfurter Landgerichts nunmehr als Regisseur der nächsten griechischen Tragödie, schon blutbefleckt im ersten Akt, was sagt Ihr der vor Euch knieenden, flehenden, bettelnden, halb wahnsinnig vor Schreck und Schauder erstarrenden, tränenüberströmten Mutter?  Schweigen? Schulterzucken? "Einzelschicksal!"? Im Namen des Volkes?

"Einzelschicksal!" Jene menschenverachtende Bemerkung eines Honeckers zum Hinweis auf einen erneuten Mauertoten. Generalprävention für eine ideologische Mauer: Schulterzucken, zur Tagesordnung übergehen, die nächsten Selbstschußapparate installieren. Im Namen des Volkes! 

Wolltet Ihr das wirklich sagen?

Nicht die griechische Tragödie, sondern der Gordische Knoten wäre die Metapher für ein in die Zukunft weisendes Urteil gewesen! Ich schäme mich der Uneinsichtigkeit der Richter, denen von kompetenter Seite Entscheidungshilfe angeboten wurde (u.a. Prof. Volker Erb, Nicht Folter, sondern Nothilfe, Die Zeit Nr. 51, 9. Dezember 2004, Seite 15) und die leichtfertig zur Seite geschoben wurde.  Wieviel Kinder müssen der Generalprävention geopfert werden, um zu erkennen, dass wir keiner griechischen Tragödien bedürfen, sondern aller klugen Köpfe dieses Landes, um nicht nur wie bisher den gezielten Todesschuss auf einen Geiselnehmer zu regeln, sondern auch die Gewalteinwirkung auf einen überführten und noch die Tat ausübenden, uneinsichtigen Mörder, egal ob er noch frei oder bereits im Polizeigewahrsam ist.

Ich schäme mich der Verlautbarungen von Amnesty International und der vielen Pressestimmen, die unseren Staat des Abgleitens in einen Polizeistaat verdächtigten, ohne auch nur im geringsten die schwere Bürde der Verantwortung der tätigen Beamten und Richter zu würdigen, und ich schäme mich jener beiden Kölner Kabarettisten, die ein von 68er Leichtfertigkeit und Verantwortungslosigkeit geprägtes Spottlied  in ihrer Fernsehsendung Mitternachtsspitzen zum Besten gaben und sich von der applaudierenden Spaßgesellschaft feiern ließen.

Sehr geehrter Herr Daschner und sehr geehrter Herr Hauptkommissar!

Ihr Verhalten war aller Ehren würdig. Sie haben alles versucht, um diesen Kriminalfall Gäfgen eben nicht zu einer griechischen Tragödie werden zu lassen. Sie haben Ihr eigenes Schicksal mit dem des ermordeten  Jakob von Metzler verbunden. Dafür ist Ihnen Dank und Anerkennung in weiten Teilen unseres Volkes sicher gewiß.  Ihr Verhalten ist dem aus tiefer Gewissensqual  entsprungenen Bekenntnis eines großen Deutschen würdig:

" Hier stehe ich, ich kann nicht anders!"

Bitte verzeihen Sie uns.

 Ulrich Perwass

 

Dazu auch:

 

Nicht Folter, sondern Nothilfe

von Prof. Dr. Volker Erb

 

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