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Einzelfall

V1.0

 

Sehr geehrter Student32!

 

Wenn unser Thema nicht einen so ernsten Hintergrund hätte, hätte ich direkt Freude daran, mit Ihnen diskutieren zu können. Natürlich reden wir hier noch von einem Einzelfall. Es wäre schließlich schlimm um unsere Gesellschaft bestellt, wenn wir jeden Tag von uns im Stich gelassenen Entführungsopfern lesen müssten, die allein deshalb elendig in einer vergrabenen Holzkiste regelrecht verreckt sind, weil wir unserer Polizei die notwendigen Mittel zu ihrer Rettung verweigerten haben.  Unser Problem ist sicherlich, dass aus dem notwendigen Mittel für einen Einzelfall die Regel werden könnte. Dass also nicht nur um das Leben eines Opfers gekämpft wird, sondern auch zum Beispiel um die 30 Millionen Euro Lösegeld, die irgendwo versteckt worden sind. Doch soviel Vertrauen in die Regelungs- und Kontrollmechanismen unseres Staates muss schon sein. Wenn wir die nicht mehr haben könnten, wäre  diese Diskussion sowieso sinnlos, da ein solcher Staat rigoros mit dem diskutierten Problem umgehen würde.

 

Ich sagte: "... noch ein Einzelfall". Falls durch den internationalen Terrorismus bei uns Zustände wie in Israel einkehren würden, wäre zumindest der Diskussionshintergrund ein anderer! Der Oberste Israelische Gerichtshof hat übrigens "verschärfte" Verhöre erlaubt! Hoffen wir, dass solche Zustände bei uns nicht einkehren!

 

Doch nun zurück zu Ihren klar gegliederten Einlassungen.

 

Zu 1:

Es wäre sicherlich verfehlt, "Onkel Erich", wie ich mal geschrieben habe, auf den Entführer loszulassen, da dieser zwar aus verständlicher Wut, aber eben doch unbedacht und überzogen auf den Delinquenten losprügeln würde. Diametral dazu ist das Verhalten der beiden Polizisten Daschner und Ortwin E. zu bewerten. Aus Sorge um das Leben Jakobs haben Sie nach sorgfältiger vorheriger Ermittlung und rationaler Abwägung im Hinblick auf das gewünschte Ziel, nämlich das Leben Jakobs zu retten, eine Verhöratmosphäre aufgebaut, die letztendlich zielführend war. Hierbei ist ihnen ihre lange Praxis im Polizeidienst dienlich gewesen. Der Polizeipräsident Daschner geht jetzt nach 47 Dienstjahren in den verdienten Ruhestand. Nach meiner Berechnung müsste er mit 18 Jahren in den Polizeidienst eingetreten sein. Er hat also sein Metier von der Pike auf gelernt und dabei sicherlich die widerlichsten Abartigkeiten, derer Menschen fähig sein können, kennengelernt. Es ist schlichtweg unvorstellbar, dass solch ein gestandener Mann aus dem Bauch heraus voller Wut und Emotionen auf den Delinquenten "einprügelt"!

 

Zu 2:

Sicherlich spielt auch in unserem Falle die Prävention eine Rolle, doch im Vordergrund steht ganz allein, das Leben Jakobs zu retten. Wir werden bestimmt nie verhindern können, dass weitere Kinder in diese schreckliche Situation gelangen. Die menschliche Natur ist halt so! Daraus aber den Schluss zu ziehen, Jakob verrecken zu lassen, weil es doch nichts nützt, ist schon starker Tobak!

 

Zu 3:

Schranken der Grundrechte des Menschen, so wie ich sie 1955 in der Schule gelernt habe und wie sie das Bundesverfassungsgericht im Urteil über das NRW-Verfassungsschutzgesetz wieder hervorgekramt hat:

 

Leib, Leben, Freiheit und Grundlagen menschlicher Existenz!

 

Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, nicht wahr?

 

Zu 4:

Demokratie als fragile Gesellschaftsordnung! Ein wirklich bedenkenswerter Gedanke! Die Demokratie über eine Gesellschaft einfach hinüberzustülpen reicht offenbar nicht aus, wie wir es am Beispiel des Irak immer wieder erkennen können. Der gesellschaftliche Konsens und eine adäquate Werteordnung sind unverzichtbare Grundlagen! Bildungssystem und Bildungschancen müssen über Jahre und Jahrzehnte ihren Einfluss ausgeübt haben! Und trotzdem ist die Demokratie, wie Sie geschrieben haben, durch mannigfache Einwirkungen gefährdet. Ans Eingemachte geht es, wenn die Menschen in einer Demokratie ihr Vertrauen in den Schutz durch den Staat verlieren, wenn ihr Leben und das ihrer Kinder offenbar durch den Staat nicht mehr ausreichend geschützt wird und Demagogen, von welchem Rand auch immer, dieses Schutzbedürfnis für ihre eigenen Zwecke benutzen. Da ist schnell wieder ein "Führer" zur Hand, der Sicherheit und Wohlstand verspricht und die "schwache" Demokratie verspottet.

 

Die Büchse der Pandora, die durch das Frankfurter Landgericht geöffnet wurde, muss wieder geschlossen werden. Fügen wir uns ins Unvermeidliche. Die Welt ist leider nicht so, dass wir unsere hehren Werte unbeschmutzt in ihr wiederfinden. Geben wir Jakob eine faire Chance!

 

Zu 5:

Ich bin kein Jurist, doch scheint mir, dass Ihr Vorschlag schon mal die Richtung anzeigt. Sicherlich enthalten die Polizeigesetze der Länder bereits eingehende Vorschriften für die Gefahrenabwehr. Allerdings würde ein Hinweis auf die Zulässigkeit der Anwendbarkeit der Vorschriften der Nothilfe meines Erachtens genügen. Die Zulässigkeit dieser Vorschriften müsste in jedem einzelnen Falle von einem Ermittlungsrichter und der Polizeiführung auf der Grundlage einer Fallanalyse erklärt werden. Das würde vom ermittelnden Beamten den Druck nehmen, allein wegen der Anwendung der Nothilfe belangt zu werden. In einem anschließenden Verfahren könnte immer noch abgeklärt werden, ob die im Rahmen der Nothilfe durchgeführten Maßnahmen verhältnismäßig waren. Wie gesagt, ich bin kein Jurist. Einzelheiten müssten die abklären.

 

Na, nun hab ich mich also doch durchgerackert und Lubina wartet schon.

 

Es grüßt Sie

 

Ulrich Perwass 

 

 

 

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